Bevor Paul Müller ein international bekannter Biogeograph wurde, der sein Fach in maßgeblicher Weise auch wissenschaftstheoretisch geprägt hat, verbrachte er viele seiner frühen Schaffensjahre auf dem südamerikanischen Subkontinent, der zu seiner großen Leidenschaft wurde. Hier hatte es ihm insbesondere die Herpetofauna angetan, also die Amphibien und Reptilien. Anhand mehrerer Modell-Organismen, z.B. der tropischen Klapperschlange, Crotalus durissus, jedoch auch anhand weiterer Wirbeltiergruppen, entwickelte Paul Müller Ideen zur postglazialen Landschaftsgenenese im tropischen und subtropischen Südamerika mit einem Schwerpunkt auf Brasilien. Dabei war es ihm wichtig, zu verdeutlichen, dass Evolution nicht immer die berühmten "Millionen von Jahren" benötigt, sondern auch auf deutlich kleinerer zeitlicher Skala stattfindet und klimagesteuerte Arealveränderungen von Tier- und Pflanzenarten in der jüngeren geologischen Vergangenheit als Motor von artlichen Differenzierungsprozessen fungieren können. Die von Müller (fort-)entwickelte Theorie der Ausbreitungszentren unterscheidet sich dabei in wesentlichen Punkten von der bereits davor in Fachkreisen vorgestellten klassischen Refugien-Theorie und beinhaltet einen eigenen, spezifisch chorologischen, methodischen Ansatz. Der Vortrag beleuchtet insbesondere die Reisen Paul Müllers nach Brasilien in den 60er Jahren und die hieraus entstandenen Beiträge sowohl für die Taxonomie bzw. Systematik der untersuchten Wirbeltierfauna im engeren Sinne wie auch den darauf aufgebauten Erkenntnisgewinn zu historisch-zoogeographischen Fragestellungen im Allgemeinen.
Dr. Markus Monzel, Biogeograph und Zoologe, ist Präsident der Deutsche Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde (DGHT) und langjähres Mitglied der DELATTINIA. Er studierte in den 1990er Jahren bei Prof. Müller.